Bikefitting für Frauen

Breiter Hintern = breiter Sattel?

Kleiner Hüftumfang = kleiner Abstand der Sitzbeinknochen?

Viel Sitzschmerz = viel Sattelpolster?

Wie bei vielen anderen Themen auch, gibt es beim Thema „Frauen und Fahrräder“ einerseits viele Vorurteile und Mythen, aber auch viele Ungerechtigkeiten und Ungleichheiten.
Mit einigen möchte ich hier aufräumen und vor allem erklären, warum ein Bikefitting für Frauen enorm hilfreich sein kann.

Wer zum Beispiel wissen möchte, ob Frauen und Männer im Profi-Radsport das gleiche verdienen, kann hier mal reinlesen:
https://speed-ville.de/wie-viel-verdienen-radprofis-2025/

Unterschiede Frau zu Mann

Ausgehend von durchschnittlichen Standard-Werten, können wir also zunächst einmal festhalten, dass es körperliche Unterschiede zwischen Frauen und Männern geben kann:

  • Frauen sind 10-15cm kleiner
  • Frauen sind 20-25kg leichter
  • Frauen haben einen etwa 25% leichteren Knochenbau
  • Frauen haben schmalere Schultern
  • Frauen haben einen längeren Rumpf und kürzere Beine (im Verhältnis zum gesamten Körper)
  • Frauen haben ein breiteres und längeres Becken
  • Frauen sind mobiler in den Gelenken
  • und so weiter.

Wie gesagt, es sind nur Erkenntnisse basierend auf durchschnittlichen Werten.

Theoretisch wäre das in Bezug auf Fahrräder kein Problem- wenn die Hersteller das berücksichtigen würden.

Oftmals unterscheiden sich Fahrräder für Frauen und Männer aber nur darin, dass die Stange horizontal oder abfallend ist. Insbesondere bei sportlichen Rädern gibt es häufig nur verschiedene Rahmengrößen, aber keine Rücksicht auf die Körperbauten.

Die Paralympics-Teilnehmerin Hannah Dines hat 2019 im Guardian einen sehr offenen Artikel geschrieben, der immerhin den einen oder anderen Hersteller für Fahrradkomponenten wachrüttelte. Und sie bekam etliche Rückmeldungen von anderen Radfahrerinnen, die erleichtert waren, dass sie nicht die Einzigen sind und sich nun trauten, auch darüber zu sprechen.

Auch Männern fällt es mitunter schwer, über ihre taub gewordenen Genitalien zu sprechen. Aber bei vielen Frauen ist die Scham doch noch weitaus größer. Und wir sprechen in der Öffentlichkeit auch noch nicht so lange über die weiblichen Genitalien.

Unglaublich jedenfalls, dass die Sitzprobleme nicht nur Freizeitfahrerinnen betreffen, und unglaublich, dass Hersteller erst langsam beginnen, frauenspezifische Komponenten zu entwickeln.

Glücklicherweise hat sich seit der Zunahme von Radleasing ein echter Trend zum Radfahren entwickelt, so dass auch die Hersteller zunehmend angepasste Produkte auf den Markt bringen. Oder sie zumindest so nennen.

Unterschiede Frau zu Frau

Im englischsprachigen Raum haben sie schon einen Namen, bei uns nicht wirklich, weshalb nun die englischen Begriffe langsam zu uns rüberschwappen:

Innie und Outie sind gemeint. Sie bezeichnen die unterschiedlichen Arten der Vulvalippen.

Innie = Klitoris und innere Vulvalippen werden von den äußeren verdeckt
Outie = Klitoris und innere Vulvalippen sind sichtbar, liegen außerhalb

Beim Bikefitting kann es hilfreich sein, wenn du dir als Kundin zumindest bewusst darüber bist, wie deine Vulva aussieht.
Wenn du darüber sprechen magst – sehr gerne. Wenn nicht, habe ich vollstes Verständnis.

Bei Outies ist das Risiko deutlich größer, dass die inneren Vulvalippen und/oder die Klitoris eingequetscht werden oder es zu starken Hautreizungen kommt. Hier sind breitere Sättel mit einem Entlastungskanal ein guter Tipp.

Da bei Innies die inneren Vulvalippen und die Klitoris quasi von den äußeren Vulvalippen geschützt werden, ist das Thema Reizung und Druckschmerzen etwas geringer und schmalere Sättel können ausprobiert werden.

Wenn du mehr über das Thema Innies und Outies wissen möchtest, kannst du z.B. hier einen Artikel lesen: https://fraulila.de/innie-oder-outie-vagina-labien/

Im Bikefitting bei COMFYTTERS wird eine Druckmessfolie auf den Sattel gelegt, die alle Druckspitzen und die generelle Druckverteilung auf dem Sattel in einer Grafik darstellt. So können wir schnell herausfinden, ob ein bestimmtes Sattelmodell das Richtige für dich ist, oder ob sich dort langfristig Reizungen ergeben könnten.

Sattelprobleme bei Frauen

Die Unterschiede im Beckenbau und oftmals auch an den Oberschenkeln erfordern unterschiedliche Sattelformen.

Auch kann der Sitzbereich bei Frauen viel empfindlicher sein: Einerseits die gesamte Vulva, andererseits der durch Verletzungen bei Geburten vernarbte Damm-Bereich und Vulvalippen-bedingte Probleme wie zuvor beschrieben.

Es gibt wenige aktuelle unabhängige Studien zu den Problemen von Frauen auf Fahrrädern, dennoch sind die häufig auftretenden Beschwerden und Erkrankungen klar benennbar:

  • Taubheitsgefühle hat mindestens jede zweite Frau auf dem Fahrrad. Die Sexualfunktion wird hiervon zwar nicht beeinträchtigt, und auch das Wasserlassen funktioniert langfristig uneingeschränkt, es ist aber ein erster wichtiger Hinweis darauf, dass etwas mit der Sitzposition oder dem Sattel nicht stimmt.
  • Scheuerstellen sind Einfallstore für Bakterien. Fährt man längere Zeit am Stück können sie sich zusätzlich zu Verbrennungen entwickeln. Meistens scheuert es an den Innenseiten der Oberschenkel oder der Leistengegend.
  • Haarbalgentzündungen sind häufiger, wenn vor der Radtour rasiert wurde. Hier dringen dann Bakterien in die leicht verletzte Haut ein. Das feucht-warme Klima in der Radhose begünstigt das zusätzlich.
  • Entzündung der Scheide (Kolpitis). Häufig sind es Pilzinfektionen durch Bakterien. Ein Arztbesuch ist dringend angeraten und verstärkte Hygienemaßnahmen enorm wichtig.
  • Harnwegsinfekte werden ebenfalls von den Bakterien in der Radhose begünstigt. Auch hier ist die Hygiene ernst zu nehmen. Zusätzlich sollte sehr viel getrunken werden, damit die Blase und die Harnröhre durchgespült werden können.
  • Vergrößerung der Vulvalippen (genitale Hypertrophie) entsteht durch dauerhaften Druck und viel Reibung, so dass der Lymphabfluss behindert wird. Es kommt hauptsächlich bei Frauen vor, die über mehrere Stunden und regelmäßig im Sattel sitzen. Auch hier hat man es vorher mit Entzündungen, Druckschmerzen und anderen Reizungen zu tun und sollte unbedingt einen Arzt aufsuchen.

Was hilft?

  1. Die richtige Körperhaltung und Sitzposition auf dem Rad ist enorm wichtig, damit nur das belastet wird, was die Belastung auch aushalten kann.
  2. Ein passender Sattel, der dort Entlastung bietet wo die Problemzonen sind, ist der nächste Schritt.
    Meine persönliche Faustregel: Nur so viel Polster, wie unbedingt nötig.
    Die Knochen gewöhnen sich an (fast) alles, das weiche Gewebe nicht. Je tiefer es in die Polsterung einsinken kann, desto mehr Kontaktfläche, also Reibungsfläche gibt es.
  3. Wer längere Touren fährt, hat meistens eine Radhose. Sie wird übrigens immer ohne Unterwäsche getragen um Scheuerstellen an den Nähten zu vermeiden. Auch muss sie immer möglichst trocken und sauber gehalten werden.
  4. Im gleichen Atemzug wird auch gerne über Sitzcremes gesprochen.
    Vereinfacht gesagt, füllen sie Hautfalten auf, sodass es weniger Reibungspunkte und Reizungen der Haut gibt. Dünn einschmieren hilft hier aber nicht. Im Gegenteil, das Polster der Radhose (ja, richtig gelesen) und die Haut müssen richtig dick eingeschmiert werden, sodass am Ende der Ausfahrt noch Creme sichtbar ist. Das Produktangebot nimmt stetig zu, man kann je nach Hauttyp auch erstmal mit Zinkpaste oder Wundschutzsalben für Babys starten.
  5. Dusche nicht unmittelbar vor der Radtour, da es Keime leichter haben, in feuchte Haut einzudringen.
  6. Hygiene, Hygiene und Hygiene.
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